Tanztheater: Belohnte Gradwanderung

Theaterpreis für MS-TANZWERK mit "Mental Maps & Patterns" Qualität setzt sich im Zeitgenössischen Tanz immer wieder durch. Hofft man zumindest, und ist dankbar, wenn aussergewöhnliche Choreografien nicht schon frühzeitig durch Ignoranz oder fehlende Risikoentscheidungen aus dem Rennen geworfen werden, sie die Chance erhalten, sich auch im überregionalen, internationalen Vergleich zu behaupten. Vor einigen Jahren hatten die Organisatoren in Leipzig gezögert, die ausgezeichnete Arbeit "Blind Date" von Sophie Jaillet und Mario Heinemann ins Programm der Tanzplattform 2002 aufzunehmen, und das sollten sie nach wie vor bereuen. Dieses Stück war bereits zuvor in Dresden erfolgreich gewesen, und es erhielt in den USA den Excellence Award for Choreography of New York Fringe Festival.Nun hat die deutsch-schweizerische Compagnie MS-TANZWERK- mit "Mental Maps & Patterns" beim 18. Stuttgarter Theaterpreis den mit 6000 Euro dotierten Hauptpreis für die beste Produktion erhalten. Mit einer bemerkenswerten Begründung in der Laudatio: "Unserer Einschätzung nach ist es die gedanklich kühnste und ästhetisch geschlossenste Arbeit der zurückliegenden Abende. Es nimmt in vielerlei Hinsicht die höchsten Risiken in Kauf und macht auf eine ganz unsentimentale Weise zutiefst betroffen."Das klingt doch gut, auch in Anbetracht der Tatsache, dass die Tanzplattform im Februar 2006 in Stuttgart - erklärtermassen mit dem Anspruch, Deutschlands vielseitige Tanzszene überraschend zu präsentieren - insgesamt wenig Spannendes geboten hatte. Und neun Monate später der Stuttgarter Theaterpreis als bewusst risikofreudige Entscheidung an "Mental Maps" und Mario Heinemann Jaillet und Sophie Jaillet geht: " Es ist eine konsequente, gedanklich komplexe Gratwanderung mit hohem Absturzpotential. Ein Zitat von C. G. Jung erklärt vielleicht das Beunruhigende dieses Stückes: "Das Bewusstsein benimmt sich wie ein Mensch, der ein verdächtiges Geräusch im Keller gehört hat und zum Dachboden eilt, um dort festzustellen, daß keine Diebe da sind. In Wirklichkeit hat sich dieser vorsichtige Mensch aber nicht in den Keller getraut." MS-TANZWERK hat sich in den Keller getraut."Wir wissen, wovon die Rede ist, haben das irritierend aufregende Stück bei der Tanzwoche erlebt. Und man könnte es nach zwei mässig besuchten Aufführungen im Studiotheater vom Kulturpalast gut und gerne ein weiteres Mal dem Publikum vorstellen, zumal die Denkprozesse mit einer ersten Wahrnehmung längst nicht abgeschlossen sind. Dass die Wurzeln speziell von Mario Heinemann Jaillet, aber auch von den Mitgliedern der Compagnie wie Ariane Funabashi, Berit Jentzsch und Nina Patricia Hänel nach Dresden führen, ahnt inzwischen wohl jeder, und es ist erwartungsgemäss die Palucca Schule, wo sie zu unterschiedlichen Zeiten als Tänzer ausgebildet wurden; Mario Heinemann absolvierte zudem die Choreografenausbildung an der "Ernst Busch"-Theaterhochschule Berlin. Er ist, sagte der langjährige frühere Rektor der Dresdner Tanzhochschule Enno Markwart über ihn, "ein feinnerviger Choreograph mit großem dynamischen Spektrum. Seine Arbeiten sind sozial determiniert und Kunst bindet sich für ihn an gesellschaftliche Verantwortlichkeit." Das hat sich auch nicht geändert, und derart sinnlich-intelligente Tanzproduktionen bleiben weiterhin rar in der heutigen Tanzszene.

Gabriele Gorgas
Quelle: DNN
Photos: Günter Krämmer